Zitat von bikersjournal
V-Motoren waren schon immer etwas Besonderes. Welche Rolle dabei der Zylinderwinkel spielt und was der Hubzapfenversatz damit zu tun hat, klärt folgender Bericht.
von Ulrich Hoffmann
Je nach Zylinderwinkel, -zahl und Zündfolge treten Massenkräfte an unterschiedlichen Stellen/Ebenen in einer unterschiedlichen Reihenfolge auf. Diese steigen mit dem Gewicht der bewegten Teile (Rotation: Kurbelwelle, unteres Pleuelauge; Translation: Kolben komplett, oberes Pleuelauge) und der Motordrehzahl. Um dem herabbrausenden Kolben des arbeitenden Zylinders eine möglichst gleichwertige Kraft entgegensetzen zu können (zur Reduzierung der Vibrationen und Belastungsspitzen durch sich überlagernde Intereferenzschwingungen), wird der Hubzapfen gegenüberliegende Seite der Kurbelwange eine entsprechende "Schwungmasse" angebracht. Dieses Prinzip gilt übrigens für jeden Hubkolbenmotor. Demzufolge stellt für einen Reihenvierzylinder eine 180°-Kröpfung (wenn zwei Kolben oben stehen, stehen die anderen beiden unten, Zündfolge 1-3-4-2) die günstigste Variante dar. Für einen Reihendrei- und -sechszylinder entsprechend eine 120°-KW-Kröpfung.
Da sich beim Viertaktmotor das komplette Arbeitsspiel stets auf insgesamt zwei Kurbelwellenumdrehungen (720° KW) verteilt, zündet ein Vierzylinder-Reihenmotor alle 180° ein Zylinder. Bei einem Zweizylinder-Paralleltwin bewegen sich beide Kolben parallel auf und ab, zünden jedoch um 360° versetzt. Bei einem Reihen-Twin mit 180°-Kurbelwelle würde der "Leerlauf" bis zum Arbeitstakt des zweiten Zylinders zwar nur 180° Grad betragen, doch wäre die Spanne bis zum erneuten Zünden des ersten Zylinders satte 540° KW. Entsprechend ruppig wäre der Motorlauf, entsprechend groß müssten Schwungmasse und Lager ausfallen, entsprechend ungünstig wären Gasannahme und Drehzahlfestigkeit. Bei V-Motoren wird die Sache nochmals komplexer. Beim "echten" V2-Motor laufen beide Pleuel auf einem Hubzapfen. Betrüge der Zylinderwinkel rein theoretisch 0° (weil's sonst ja kein V-Motor wäre), würde es sich eigentlich um einen Paralleltwin handeln (Zündabstand/Z.-Versatz 360° KW). Stehen beide Zylinder im Winkel von 90° zueinander, betragen die Zündabstände demnach #1 nach #2 (360 - 90) = 270° KW und von #2 nach #1 (360 + 90) = 450° KW. Das ist auf den ersten Blick zwar nicht ganz so günstig wie bei einem Paralleltwin, aber dafür baut der V2 nur unwesentlich breiter als ein Einzylinder. Aber das ist wieder ein anderes Themal. Trotzdem: Je enger die Pleuel auf dem Hubzapfen gelagert sind (unabhängig vom Zylinderwinkel!), umso geringer fällt das so genannte Giermoment aus, das für die Massenkräfte 1. Ordnung verantwortlich ist.
Wollte man also einem 90°-V2 die Laufkultur eine Reihen-Paralleltwins anerziehen, müsste man nur einen "unechten" V-Motor mit 90° gekröpfter Kurbelwelle verwenden - könnte man meinen. Dass dem nicht so ist, liegt in den entsprechend dem Zylinderwinkel versetzten Ebenen wirkenden Massenkräfte 2. Ordnung begründet. Ein Reihenmotor mit senkrecht stehendem Zylinderblock "vibriert" hauptsächlich in der senkrechten Ebene. Ein V-Motor (unabhängig von der Neigung der Zylinder der Zylinder) hingegen immer in mindestens zwei Ebenen (die Momente 1. Ordnung einmal vernachlässigt). Deutlich günstiger verhält es sich bei einem 90°-V4.
Unabhängig von den Massenkräften benötigt ein V-Motor jedoch recht viel Platz im Rahmen und treibt den Radstand in die Länge. Dass ein extrem kurzer Radstand jedoch keineswegs Garant für ein Plus an Fahrbarkeit ist, hat sich erst in den letzten zwei Jahren herauskristallisiert. Dennoch gibt es stichhaltige Argumente dafür, einen V-Motor mit möglichst engem Zylinderwinkel einzusetzen: Kompaktere Bauweise zur Zentralisierung der Massen sowie eine zum Fahrzeugkonzept passende optische Erscheinung.
Honda war 1983 der Motorradhersteller, der im Zuge der Neustrukurierung fest daran glaubte, das V-Konzept revolutionär und auf höchstem Niveau zu kultivieren, indem er die legendären VF 750/VF 1000 F/R (90°-V4-quer) entwickelte. Zuvor allerdings löste die unscheinbare VT 500 E (V2-quer, siehe Grafik) die beliebte Modellgeschichte">Opens external link in new windowCX 500/E (80°-V2-längs!) ab.
Dieser VT 500-V2 war etwas Besonderes: Trotz einem Zylinderwinkel von ungewöhnlichen 52° (aktuelle Beispiele: luftgek. Harley's 45°, Yamaha Wild Star = 48°, V-Rod, Aprilia RSV = 60°; Yamaha Virago-Typen = 75°; Ducati, Moto Guzzi = durchweg 90°; Honda VTR, Suzuki TL/SV = 90°) und einem Hubzapfenversatz von 76° KW, liefen der VT-Motor überraschend weich und rund - und das sogar ohne Ausgleichswelle. Lediglich unter hoher Last (z.B. beim Be-schleunigen) beginnt der Motor lebhaft zu stampfen. That´s V2 - so soll´s sein. Denn diese Lebensäußerungen waren und sind auch heute noch durchaus gewollt. Nicht zuviel und nicht zu wenig. Später profitieren bekannte Modelle wie die Transalp, VT 600 Shadow über Africa Twin bis hin zur aktuellen VTX 1800 (beide mit Ausgleichswelle) vom ausgeklügelten Massenausgleich des 52°-V2-Twins mitsamt der eigenwilligen Kurbelwellenkröpfung.
Addiert man bei einem V2 Zylinderwinkel und Hubzapfenversatz resultiert daraus der Zündabstand in KW° zwischen Zylinder #1 und #2. Soweit, so gut. Was aber, wenn man den Zylinder #2 nicht gleich, sondern erst nach einer weiteren KW-Umdrehung zünden lässt? Dann sieht die Rechnung im Fall der VT 500 wie folgt aus: #1 zündet, es vergehen 360° + 76° KW-Kröpfung bis auch #2 zündet. Davon allerdings müssen wieder 52° KW abgezogen werden, da #2 bedingt durch den Zylinderwinkel früher arbeitet. Summa summarum bleiben unterm Strich lediglich 24° KW übrig, die diesen V2 von einem Paralleltwin unterscheidet. Und das ist gerade so viel, um beim Fahren noch zu spüren, dass man es mit einem V2 zu tun hat. Werden die wirkenden Kräfte jedoch so groß wie beispielsweise bei der VTX 1800, kommt man auch bei einem 24°-V2 nicht mehr ohne Ausgleichswelle aus. Cruiser hin, Cruiser her.
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